Die (Ohn)Macht des Geldes - von Money Mindset und Mario Kart 8/

Ein Zwiegespräch

Beitragbild zum die (Ohn)Macht des Geldes

© Mary Ivić

Text: Mary Ivić und Sarah Khayati
Lesedauer: ca. 8 Minuten

Sarah: Was für ein Thema! Reden über Geld. Ersteres liebe ich, Letzteres könnte nicht entfernter von meiner Komfortzone sein. Sehr sehr lange, eigentlich wirklich bis in das vergangene Jahr hinein lauteten Glaubenssätze zu diesem Thema für mich: Geld? Kann ich nicht, will ich nicht, hab ich nicht. Lass mich damit bloß in Ruhe. Dann ist in meiner Bubble immer mehr zu dem Thema aufgetaucht. Habe ich immer mehr darüber gelesen, wie besonders Frauen das Thema nun in die Hand nehmen (sollen), dass man immer und direkt loslegen kann, schon mit der kleinsten Summe, Hauptsache irgendwas tun, los geht´s – Chaka! Und in mir regte sich was. Widerstand. 

Mary: Ja Sarah, diesen Widerstand spüre ich auch, da diese Initiativen, Programme den „richtigen“ Umgang mit Geld wieder an das Individuum heften: Du allein bist verantwortlich dafür, ob du Schulden machst oder Vermögen anhäufst!

Sarah: Ich konnte das zuerst gar nicht einordnen. Das ist doch super und genau der richtige Schritt. Aktiv werden, handeln, nach vorne schauen, egal was hinter einem liegt, sondern jetzt und hier aufbauen, was und wie es eben geht. Word! Stehe ich auch total dahinter. Aber was hat mich dann so irritiert? Wieso habe ich mich nicht wirklich angesprochen gefühlt? Und Stück für Stück habe ich für mich seziert, dass auch Geld, es haben, es sparen, damit umgehen – in der ganzen persönlichen Historie, die Menschen hiermit haben – im Kontext von klassistischen und weiteren diskriminierenden Strukturen gedacht werden und ein Verständnis hierfür geschaffen und darüber gesprochen werden muss. Sonst kann man es eigentlich gleich vergessen.

Mary: Ich glaube Geld ist immer Thema. Es hat nur je nachdem woher man kommt eine andere Bedeutung und Gewichtung. Das merkte ich in meiner Unizeit besonders daran, wie unterschiedlich die Aussage „Ich habe gerade kein Geld.“ ausgelegt wurde: Während es für die einen bedeutete, dass das Girokonto gerade bis zum Anschlag überzogen war, meinten andere damit, dass sie weniger als 5.000 Euro auf dem Konto hätten. Und heute sind es Gespräche und Bemerkungen die sich auf den Vermögensaufbau beziehen: Während die einen versuchen, nach der Erhöhung noch die Miete zahlen zu können, wissen andere ganz genau, wie sie ihr Geld anlegen können, um irgendwann Wohnungseigentümer*in zu sein.

Sarah: Und ja, es ist ja auch im Endeffekt eine einzelne Person, die eben so oder so handelt. Aber ohne Einbettung in das Umfeld, in dem ein Individuum agiert und reagiert – da wären wir mal wieder beim Thema – lässt sich Geld definitiv nicht denken. Und ähnlich wie du glaube ich, dass es ein echtes Privileg ist, mit einem guten Money-Mindset, also mit starken Glaubenssätzen zum Thema aufzuwachsen. Es macht einen Unterschied, ob die Existenz immer gesichert war und man überlegen konnte, was man mit dem Geld jetzt anfängt. Oder ob es immer Thema war, wo man überhaupt genügend herkriegen sollte, damit es für xy reicht. Es macht einen Unterschied, ob ein Dispo als Option Standard bei der monatlichen Finanzplanung einer Familie ist. Oder man eher darüber spricht wie man was anlegt. Ob man Geld eben mag und das Gefühl hat damit etwas bewegen zu können. Oder sich am liebsten gar nicht damit beschäftigen möchte und jedes Mal tief Luft holt, bevor man sein Online-Banking öffnet.

Ich bin überzeugt, dass die so entstehenden Glaubenssätze und Erfahrungen für unser Leben prägen und nur sehr schwer, d.h. unter hohem Energieaufwand wieder abzulegen bzw. veränderbar sind. 

Mary: Mich treibt um, wie krass der Unterschied zwischen Kindern ist, die finanziell abgesichert aufwachsen und denen, die in Armut leben. Das prägt dich doch dein ganzes Leben! Damit hängt so viel zusammen. Ich spreche nicht von der krassen Armut. Schon in relativer Armut aufzuwachsen, wo Kinder zwar genug zu essen bekommen, aber es keine Möglichkeiten gibt Hobbies nachzugehen oder an anderen Aktivitäten teilzunehmen, schließt dich doch gesellschaftlich aus. Für dein Erwachsenenleben fehlt dir dann explizites Wissen, dass Menschen eben haben, wenn sie nicht arm sind. Und wenn dir dieses kulturelle Wissen fehlt, fällst du eben auf, kannst nicht mithalten.

Ich finde es richtig gut, dass gesellschaftlich vermehrt über Klassismus gesprochen wird. Denn die Spaltung der Gesellschaft läuft eben auch entlang der Einkommens- und Vermögensgrenzen. Und wenn wir nicht wollen, dass die Schere immer größer wird, sollte man endlich aufhören die Jede*r-kann-es-schaffen-Geschichte zu erzählen. Denn das stimmt de facto nicht!

Sarah: So! So! Wahr!

Mary: Du triffst ganz andere Entscheidungen im Leben, wenn du dieses Netz hast. Anna Mayr zitiert in ihrem Buch “Die Elenden” George Orwell, “Armut lässt die Zukunft nichtig werden.”. Ich finde das so treffend, denn wie soll und kann ich mich mit meiner Zukunft beschäftigen, wenn ich hart daran arbeite, meinen Alltag zu meistern? Der Preis des Dazugehörens ist wirklich sehr hoch. Ich habe ihn gezahlt und mich dadurch oft in schwierige und frustrierende Situationen gebracht und ich habe wirklich erst vor einiger Zeit gemerkt, dass ich es trotz größter Bemühungen nie schaffen werde, gleichauf zu sein, was den materiellen Wohlstand angeht. Einfach weil das Fundament auf das ich aufbaue, erst von mir geschaffen wurde.

Sarah: Und der Status der desinteressierten, unpolitischen (Zukunfts-)Verweigerer, wie er dann so oft im Raum steht, kann und darf hier echt nicht gelten. Da ist auch Aladin El-Mafaalani so on point, wenn er sagt: “Eine andere Gesellschaft kann man fordern, wenn man in dieser Gesellschaft etabliert ist. Wer sich nicht etabliert fühlt, will in der bestehenden Gesellschaft einen besseren Platz – und nicht eine bessere Gesellschaft.” Und dieses Etablieren, dieser bessere Platz kostet. So viel mehr Kraft, so viel mehr Zeit. Und eben: Soviel mehr Geld! Und ehrlicherweise geht es mir wie Dir: In den bestehenden Strukturen ist Jede*r-kann-es-schaffen einfach nur ein Märchen. Stoooory! 

Mary: Wie soll das auch gehen, wenn das eigene Einkommen nicht nur für einen selbst reichen muss, wenn man nicht auf bereits seit der Kindheit angesparte Depots zurückgreifen kann, wenn es definitiv kein Erbe geben wird oder wenn man nicht in eine reiche Familie heiratet?Man braucht mir an dieser Stelle dann nicht mit dem Thema Vermögensaufbau à la Lege-dein-Geld-richtig-an kommen. Das mag für einige passen, aber nimmt wieder das Individuum in die Pflicht. Das ist mir nicht ganzheitlich genug ist. 

Sarah: Ein Coping Mechanism oder eine Alternative ist dann ja auch oft, die Lebensführung komplett auf dieses Thema „Mithalten“ auszurichten – um jeden Preis. Eben auch dem von Schulden. Nicht selten werden Konsumgüter, die einen „Mithalten“ lassen  – beim Styling, der Einrichtung, dem Auto oder eben auch dem neuen, urbanen Bürger*innenideal  „Ich kaufe nur Bio und fahre ein Lastenrad statt Auto“ (ich fahre übrigens eins) – um den Preis eines bis zum Anschlag überzogenen Kontos, durch Kredite oder mehrere parallel laufende Ratenzahlungen finanziert. Sparen? Notfall-Puffer? Nicht um den Preis des kleineren Wagens, der No Name Sneaker oder sonstiger vermeintlich erkennbaren durch bspw. Schulden schneller zu erreichenden Codes des „Ich gehöre auf Augenhöhe dazu“. Und der Scheiss an der Sache ist ja: Tust du doch nicht! 

Mary: Ich kenne das auch, wenn diese wertenden Blicke kommen, wenn du eben die “falschen” Güter konsumierst. So ist es in meiner Bubble auch vollkommen ok, sich ein mega teures Fahrrad zu kaufen, aber prollig, wenn man sich ein kostspieliges Auto zulegt. Ich habe mittlerweile kein Problem mehr mit dem Konsumieren von Dingen. Dieser Doppelstandard geht mir einfach auf die Nerven.

Sarah: Mich macht das auch jedes Mal so wütend und zerreißt mir parallel auch echt das Herz. Weil der wortwörtliche und so dermaßen vollumfängliche Preis nicht gesehen wird, der dahinter stehen kann. Auch Konsumbewertung und -orientierung etablieren sich bzw. verlaufen innerhalb sozialer Prägung und im Rahmen klassistischer Strukturen. 

Mary: Mir hätte es echt geholfen, wenn man mir in jungen Jahren gesagt hätte, dass alles ok ist, wie es ist. Wenn wir offen darüber gesprochen hätten, dass es diese Unterschiede gibt und es im Sinne der Verteilung und der Voraussetzungen unfair ist, aber eben so ist. Seitdem ich weiß, dass ich nicht gleichauf sein muss, weil es eigentlich unmöglich ist, bin ich entspannter. 

Sarah: Wow! Das ist ein Wahnsinns-Meilenstein in der eigenen Entwicklung! Mir persönlich macht das ehrlicherweise schon noch zu schaffen. Also, es ist immer sehr tagesformabhängig, wie sehr ich da die Abgrenzung hinbekomme (und ich versuche mir da auch meine eigenen Privilegien immer wieder bewusst zu machen). Mittlerweile bin ich tatsächlich durch den so genannten Bildungsaufstieg, den sowohl mein Partner als auch ich als “Familienpremiere” hingelegt haben, anteilig auch oft in ziemlich verfestigt privilegierten Umfeldern unterwegs. Und dann beschäftigt mich das schon auch,, wenn ich bspw. mitkriege, dass ich Verbindlichkeiten wie meinen Studien- und den Bildungskredit noch auf Jahre, ich glaube sogar Jahrzehnte, mit einer Summe abzahle, die man offensichtlich auch für die Finanzierung des eigenen Grundstücks oder einer Wohnung exakt so investieren könnte (also vorausgesetzt natürlich man hat schon das passende Grundkapital oder eine alternative Absicherung – you see, ich habe mich schlau gemacht). 

Es ist dann wirklich sehr sehr stimmungsabhängig, inwieweit ich es schaffe, nüchtern festzustellen, dass die Ursache hierfür halt nicht ausschließlich in individuellen Entscheidungen und Ausrichtungen, sondern vor allem strukturellen und klassistischen  Gegebenheiten liegt. Oder aber, ob ich wie wild anfange zu recherchieren, zu rechnen und zu wälzen, welche Möglichkeiten es für uns eventuell doch gibt, auch nur irgendetwas einmal unser Eigen zu nennen. (Spoiler: Wir sind jetzt bei gebrauchten Campern und der Dauerpachtung von Schrebergärten gelandet. Aber da ist mit ziemlicher Sicherheit auch nichts mehr zu holen, wenn wir erst einmal so weit sind.) 

Mary: Ich würde mir echt wünschen, dass Gespräche dahingehend offener, ehrlicher und reflektierter werden. Das wäre so entlastend und dann könnte man mit den Unterschieden ganz anders umgehen. Damals in der Uni habe ich früh gecheckt, dass ich keine Vollzeitstudentin sein kann, weil ich viel arbeiten musste. Aber ich habe mit niemanden darüber geredet, weil mir diese Ungleichheit damals noch nicht bewusst war. Hätte ich das aber erkannt, hätte ich viel weniger Druck und Stress verspürt.

Sarah: Ich muss dazu gerade total an eine Parabel von John Green denken, die er zum – übrigens auch Favorit meiner ältesten Tochter – Videospiel Mario Kart 8 (ihr lest richtig) aufgestellt hat. In dem Spiel erhält man über die Fragezeichen-Boxen je nach vorhandener Spielerfahrung oder Position auf der man liegt, als bspw. letzte Person im Rennen sehr häufig ziemlich nützliche Dinge, wie Münzen oder Turbo-Pilze. Umgekehrt erhöht sich die Wahrscheinlichkeit auf hinderliche Inhalte wie Bananenschalen, auf denen man ausrutscht, u.a. je weiter vorne man positioniert ist. Die Positionen im Feld können durch die unterschiedlichen Power-Ups oder Downs also ad hoc aufgehoben werden. Green schreibt: 

“Je nach Weltanschauung machen die Fragezeichenboxen das Spiel entweder fair, weil jeder gewinnen kann, oder unfair, weil nicht immer die Person mit den besten Fähigkeiten gewinnt. In dieser Hinsicht ist […] das echte Leben das genaue Gegenteil von Mario Kart. Wenn man im echten Leben Erfolg hat, kriegt man eine Menge Power-Ups (mein eigenes Beispiel von oben nennt er den “Collegeabschluss ohne Schulden”-Power Up), um noch weiter zu kommen. […] Und das passiert so regelmäßig, dass es denjenigen von uns, die von diesen Power-Ups profitieren, sehr leicht fällt, sie für fair zu halten […] Aber für mich liegt wahre Fairness darin, dass alle die gleichen Chancen haben zu gewinnen, selbst, wenn sie kleine Hände haben und das Spiel nicht seit 1992 spielen.”

Ein “Money Background”, aber auch ein “Money Mindset”, das man sich nicht erst im Nachhinein erarbeiten muss, sondern mit dem man quasi aufwächst – also keine Problematisierungen und/ oder positive Glaubenssätze im Kontext Geld – sind krasse Power-Ups.

Mary: Wer kennt sie nicht, diese beiden Realitäten: Du kannst richtig gut haushalten und bist am Ende des Monats trotzdem total am Arsch oder aber du bist miserabel im Haushalten, aber zum Ende des Monats fein raus, weil du eben finanziell abgesichert bist.

Was uns, die kein Money Background haben, fehlt, ist einfach mal Spielgeld – im wahrsten Sinn des Wortes.